Die Protagonistin im neuen Roman von Barbara Zeman lebt in einer winzigen blauen Wohnung, träumt schon seit Kindheitstagen davon im All zu schweben und dem gleißend roten Riesenstern Beteigeuze im Sternbild Orion nahe zu sein. Robert Fischer hat sich mit der Autorin über Entstehungsgeschichte und Hintergründe ihres neuen Werks unterhalten.

Gab es einen bestimmten Auslöser, der Dich zu der Story von „Beteigeuze“ inspiriert hat?

Ich mag Sterne sehr, und ich habe mich während der Corona-Pandemie begonnen für psychische Krankheiten zu interessieren. Vor allem auch, weil diese Krankheiten seit der Pandemie so sehr angestiegen sind – hauptsächlich bei jungen Leuten.

Du sprichst Therese Neges, die Hauptfigur von „Beteigeuze“ an. Man erfährt im Buch, das sie unter anderem aus der Psychiatrie im AKH in Wien getürmt ist und es auch mit ihrer Medikation nicht so genau nimmt. Wie und wo hast Du zu diesem Aspekt des Buchs näher recherchiert?

Eine Freundin von mir ist Fachärztin für Psychiatrie am AKH. Es gibt dort zwei Stationen, die den Sommer über immer geschlossen sind. Vor zwei Jahren hat sie mich durch diese leeren Räume mitgenommen und mir alles gezeigt: Stützpunkt, Speisezimmer oder den Schaumbadraum. Das meiste weiß ich von ihr. Ich habe mir aber auch relativ viel online zu dem Thema angeschaut – zum Beispiel von Robert Sapolsky, Professor in Stanford University, eine Vorlesungsreihe über „Human Behavioral Biology“ (dt. Verhaltenstherapie, Anm.).
Romane wie zum Beispiel „The Vegetarian“ von Han Kang und Schnitzlers „Fräulein Else“ waren auch sehr hilfreich. Meine Diplomarbeit in Geschichte hat sich mit der Schauspielerin Elisabeth Bergner befasst, die in der Verfilmung von „Fräulein Else“ 1929 die Hauptrolle spielt.

Du hast einen Ausschnitt von „Beteigeuze“ bereits 2022 beim Bachmann-Preis in Klagenfurt präsentiert. Wie lange hast Du insgesamt an dem Buch geschrieben?

Sehr kurz. Zuerst drei Monate Tagebuch. Dann ein Monat Arbeit am Text für Klagenfurt. Die Familiengeschichte einen Monat lang in London erfunden. Und dann den ganzen Text, schon vollkommen losgelöst aus autobiographischen Bezügen, innerhalb von einem dreiviertel Jahr fertig geschrieben.

Hast Du beim Schreiben eine gewisse Arbeitsroutine?

Ja. Aufstehen, mich mit dem Computer gleich wieder ins Bett setzen. Dann schreiben so lang wie geht.

Spielen die Sterne auch in Deinem persönlichen Leben eine wichtige Rolle? Bist Du zum Beispiel jemand der jeden Tag in sein Horoskop in der Zeitung schaut?

Ich interessiere mich mehr für Astronomie als für Astrologie. Astrologie ist ganz lustig, als riesengroßes, planetenbetriebenes Kraftfeld, in das man so ein Menschenleben setzt, aber im Prinzip ist das, was uns in Wirklichkeit umgibt sowieso so schön und so schauderhaft, dass man gar nichts mehr erfinden braucht. Allein die Dunkle Materie, Dunkle Energie, wie Sterne geboren werden und wie Sterne vergehen, Super Nova, die Bestandteile der Sterne, die Stoffe aus denen wir bestehen – hier ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zu Ziggy Stardust und Electric Blue.

Was meinst Du mit „Electric Blue“?

Das ist ein bestimmter blauer Farbton, ein ganz dunkelblaues Blau, das zum Beispiel auch im Text „Sound & Vision“ von David Bowie erwähnt wird („Blue, blue, electric blue – that’s the colour of my room“). Man könnte das auch als so eine Art Klammer zwischen dem Lied und der blauen Wohnung von Theresa Neges, die ja wie so eine kleine Nussschale ist, verstehen.

Kannst Du Dich nach Abschluss des Schreibprozesses von den Figuren aus Deinem Buch eigentlich leicht trennen oder geistern diese noch eine Zeit lang in deinen Gedanken herum?

Theresa Neges hat mich, als jetzt so ein krasses Hochwasser in Österreich war, ein paar Tage wie ein Gespenst begleitet. Weil Wienfluss und Donaukanal so wahnsinnig angeschwollen sind, und Theresa Neges gern auf den Grund des Donaukanals hinuntertaucht, und generell Sturm und Chaos liebt. Ich stand am Wienfluss und habe mir nur gedacht, wie wahnsinnig cool die Theresa das alles finden würde.

Für das Literaturhaus in Wien betreibst du gemeinsam mit Clemens J. Setz den Podcast „Erster österreichischer Sachbuchpreis“. Um was geht es dabei?

Um die seltsamsten, bezauberndsten und schrecklichsten Sachbücher der Welt. Gerade lese ich dafür vom großen Tänzer Vaslav Nijinski „Ich bin ein Philosoph, der fühlt“. Sehr schwindelerregend.

Du bist auch auf Social Media aktiv und postet immer wieder News zu Deinem Podcast oder anderen Aktivitäten. Was hältst Du generell von Plattformen wie Facbook, Instagram oder Tik-Tok?

Für meine Arbeit sind sie extrem wichtig. So viele Flyer hätte ich früher gar nicht verteilen können, um so punktgenau wie heute so viele Menschen zu erreichen, die sich potentiell interessieren. Und ich finde es auch lustig. Aber ich denke nicht, dass ich noch auf Facebook wäre, wenn ich nicht Autorin wäre.

Welche drei Musikstücke bzw. Songs wären der perfekte Soundtrack für das neue Buch?

„Sound & Vision“ von David Bowie. „I´m singing in the rain“ und vielleicht noch etwas von charli xcx.

Dein erster Roman „Immerjahn“ von 2019 war bei Publikum und Kritik ein großer Erfolg. Du hast 2022 beim renommierten Bachmannpreis gelesen, bist jetzt eine arrivierte Autorin und erfährst viel mehr mediale Beachtung. Hast du beim Schreiben von „Beteigeuze“ gelegentlich eine Art Erfolgsdruck gespürt?

Manchmal ist das von außen an mich herangetragen worden. Letztlich ist es aber wichtig, dass man jeden Roman möglichst seelenruhig, so gut wie möglich, einen nach dem anderen schreibt, ganz egal was davor war oder danach sein wird. Klar ist es wichtig, wie das Buch dann rezipiert wird, weil schließlich möchte ich davon leben können, aber letztlich darf man da nicht zu viel darauf schauen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Barbara Zeman: „Beteigeuze“. dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. 2. Edition. 2024. 304 Seiten. ISBN : 978-3-423-28415-8. 24 Euro.
 https://www.dtv.de/buch/beteigeuze-28415

Mittwoch, 20. November, 20.00 Uhr im Volkstheater: Barbara Zeman und Robert Stadlober lesen aus „Beteigeuze“ (Reihe: Irritationen – Stimmen der österreichischen Gegenwartsliteratur)

Samstag, 23. November, 13.30 Uhr Messe Wien (Der Standard-Bühne) Barbara Zeman liest aus „Beteigeuze“. Moderation: Michael Wurmitzer

Barbara Zeman, geboren 1981 im Burgenland, lebt in Wien. Sie ist Historikerin und hat als Journalistin gearbeitet. Ihr Debütroman „Immerjahn“ erschien 2019. Seither zahlreiche Veröffentlichungen in Anthologien. In der Pandemie gründete sie mit Robert Stadlober einen Leseclub; mit Clemens J. Setz macht sie den Podcast „Erster Österreichischer Sachbuchpreis“. Mit einem Auszug aus ›Beteigeuze‹ war sie 2022 für den Ingeborg-Bachmann-Preis nominiert. Aktuell steht Barbara Zemans „Beteigeuze“ übrigens auf Platz 1 der ORF-Bestenliste!
https://www.facebook.com/barbara.christine.zeman

Geschrieben von Robert Fischer